Gerald Ramm arbeitet seit 1990 als Bestatter. Da sich sein Institut im Randberliner Bereich befindet, kennt er die Situation sowohl in Berlin als auch in Brandenburg seit Jahrzehnten. Auf seiner Webseite heißt es: „Das Geschäft ist ein Familienunternehmen, in dem jeder Sterbefall in seiner Tragik und Schwere erkannt wird. Es wird grundsätzlich versucht, Klartext zu sprechen, um einerseits ein gewisses Vertrauensverhältnis aufzubauen und um der Inhaltsschwere der Sache selbst technische wie auch emotionale Stützen zu ermöglichen.“

Michael Hauke unterhielt sich mit ihm über die Umstände seiner Arbeit und die Sterblichkeit in Corona-Zeiten. Gerald Ramm redet auch in unserem Interview „Klartext“.

 

Michael Hauke: Herr Ramm, Sie sind seit 31 Jahren Bestatter in Woltersdorf und kennen die Situation in Berlin und Brandenburg sehr gut. Wann sterben normalerweise die meisten Menschen?

Gerald Ramm: Zwischen Ende Oktober und Ende März gibt es jedes Jahr die meisten Todesfälle. Zum unmittelbaren Jahreswechsel zwischen 20. Dezember bis ca. 10. Januar kulminiert dieses Geschehen alljährlich. Diese Erfahrungswerte konnte ich in über 30 Jahren Berufserfahrung sammeln, und da hat sich auch in diesem und im vergangenen Jahr nichts verändert.

Michael Hauke: War also seit Ausbruch der Pandemie nichts anders? Sind nicht mehr Menschen gestorben?

Gerald Ramm: Alles war wie immer. Nur auf den Totenscheinen tauchte eine neue Todesursache auf: Covid-19. Aber auf keinen Fall gab es eine erhöhte Sterblichkeit. Das ist völliger Blödsinn.

Michael Hauke: Wann hatten Sie Ihren letzten Corona-Toten?

Gerald Ramm: Das ist bei mir genauso wie bei den Kollegen, mit denen ich mich unterhalte. Die letzten Toten mit Corona auf dem Totenschein hatten wir in den ersten Februar-Tagen, also vor zehn Wochen.

Michael Hauke: Wenn Sie sagen, dass es in keiner Weise eine erhöhte Sterblichkeit gab, wie kam es dann zu den Bildern von gestapelten Särgen, die genau das suggerierten?

Gerald Ramm: Das hatte mehrere Ursachen. Diese Bilder stammen vom Jahreswechsel 2020/21. Um Weihnachten herum haben wir immer sehr viele Todesfälle. Über die Feiertage haben die Ämter zu – und dieses Jahr waren auch noch viele Mitarbeiter im Homeoffice. Deswegen hat die Bearbeitung in den Standesämtern sehr lange gedauert, in Berlin bis zu drei Wochen. Ohne Papiere vom Standesamt nimmt mir aber kein Krematorium einen Toten ab. Wir lagern die Toten bei uns, aber es gibt viele Bestatter, gerade in Berlin, die ihre Verstorbenen auslagern müssen – und da stapeln sich dann die Särge. Dann kommt seit Corona dazu, dass man nicht mehr in die Krematorien in Polen, Tschechien oder Holland kommt. Mit den Krematorien im benachbarten Ausland haben viele Bestatter aus den Grenzregionen und aus Berlin aus Kostengründen zusammengearbeitet. Ich selber fahre seit Jahren nur nach Eberswalde. Notgedrungen müssen nun aber alle Verstorbenen in Deutschland eingeäschert werden.

Ein weiterer Punkt führte zu Stauungen: Havarien oder turnusgemäße Reparaturen an den Öfen konnten nicht zeitnah durchgeführt werden, weil es keine problemlose Zulieferung von Ersatzteilen gab. So war zum Beispiel in Chemnitz ein Ofen längere Zeit außer Betrieb.

Alles andere sind dreiste Horrorgeschichten, die nichts mit den wahren Gründen zu tun haben. Diese Aufnahmen sind nicht entstanden, weil die Pandemie so gewütet hat. Aber diese Bilder eignen sich natürlich wunderbar, um Horrorgeschichten über die Pandemie zu erzählen.

Michael Hauke: Wie läuft das ab, wenn Sie einen Corona-Toten abholen?

Gerald Ramm: Zu 90 Prozent sind die Toten mit Covid-19 in Altersheimen verstorben. Wenn wir vorher informiert werden, rücken wir im Vollschutz an. Wir legen den Verstorbenen dann in einen Kunststoffsack, der einem Unfallbergesack gleicht. Dieser wird dann in den Sarg gelegt. In den Krankenhäusern ist die Situation anders. Dort übernehmen wir den Toten bereits in diesem Sack. Allerdings hat die Panikmache in den Krankenhäusern auch schon dazu geführt, dass wir Menschen, die nicht mit Covid-19 verstorben sind, so verpackt erhalten haben. Wir haben sie dann wieder ausgepellt, damit die Angehörigen Abschied nehmen können. Das Abschiednehmen  ist überhaupt die große Problematik in diesen Zeiten. Der Abschied, wie wir ihn kannten und wie ihn die meisten kranken Menschen und deren  Angehörige brauchen, ist abgeschafft worden, wenn der Tod in Zusammenhang mit Corona steht. Erst dürfen die Angehörigen nicht zu dem Schwerstkranken oder Sterbenden, wenn er noch lebt. Und danach auch nicht. Ich kenne aber auch andere Fälle, bei denen die Angehörigen noch einmal ins Krankenhauszimmer durften. Allerdings erst nach dem Tod.

Michael Hauke: Sind die Corona-Toten, die Sie bestattet haben, nach Ihrem Kenntnisstand allein an Covid-19 gestorben?

Gerald Ramm: Nein, nie! Sie waren alle aus einem anderen Grund in einem extrem moribunden Zustand. Alle waren schwerst vorerkrankt, weit über 80 oder stark übergewichtig. Zu den Vorerkrankten zählten Patienten mit nur einem Lungenflügel, mit COPD oder Krebs im Endstadium, Patienten im Koma oder mit doppelter Beinamputation und ähnliche Fälle. Da hätte auch eine Fliege im Nasenloch gereicht.

Allerdings gibt es wirklich unwürdige Zustände in etlichen Seniorenheimen, also den Hotspots der Krankheitsverbreitung. So holte ich zum Beispiel zweimal in Berliner Altenheimen Verstorbene aus ihren Pflegebetten – und im selben Zimmer war im Nachbarbett noch ein weiterer Betreuter, welcher noch nicht an Covid erkrankt war.

Michael Hauke: Haben Sie keine Angst, sich selbst anzustecken?

Gerald Ramm: Nein, Angst habe ich keine, sonst könnte ich –  wie auch Pfleger oder Ärzte – meinen Beruf nicht ausüben. Ich habe Respekt vor einer Krankheit, die gefährlich ist und die wie andere Infektionskrankheiten auch tödlich enden kann. Dafür die komplette Wirtschaft eines Landes und das gesamte Lebensgefühl einer Gesellschaft seit einem Jahr an die Wand zu fahren, finde ich nicht nur völlig unangemessen, sondern das grenzt an Wahnsinn. Wir haben nicht die Pest.