Kolumne von Jan Knaupp

Zum Glück ist die Bundestagswahl überstanden. Zum Glück für mich, denn ich muss zugeben – noch nie habe ich mich so intensiv mit der Materie beschäftigt wie 2021.
Da sich unser Land in den letzten Jahren durch verschiedene innenpolitische Entscheidungen stark verändert hat und durch die daraus resultierende Spaltung der Gesellschaft ein vernünftiges Miteinander kaum noch möglich ist, wollte ich bei dieser Wahl nichts falsch machen. Vielmehr wollte ich mich gut gewappnet dieser Aufgabe stellen, mit meiner Stimme wirklich etwas bewirken. Ich wollte mit gutem Gewissen zur Wahlurne gehen, mitbestimmen, mich an der Weichenstellung für eine positive Zukunft dieses Landes beteiligen.
Also habe ich mir im Vorfeld der Wahl einen umfangreichen Überblick verschafft. Ich las Parteiprogramme, habe mich mit geschönten und ungeschönten Lebensläufen beschäftigt, verfolgte thematische TV-Debatten, hockte mich für jedes sogenannte Triell vor den Fernseher, habe so gut wie alle verfügbaren Medien durchforstet – und musste danach einsehen, dass meine Bemühungen verlorene Lebenszeit waren.
Je mehr ich mich mit den Kandidaten, ihren bisherigen Karrieren und ihrem politischen Umfeld beschäftigte, je mehr wurde mir bewusst – eigentlich will ich das alles nicht!
Für mich als normal-politischer Mensch eine erschreckende Einsicht. Ich, der sein Wahlrecht immer wahrgenommen hat, der dieses Recht eigentlich als eine wichtige Säule der Demokratie ansieht – hatte plötzlich keine Lust mehr, Kandidaten und Parteien zu unterstützen, denen ich nicht uneingeschränkt vertrauen kann. Ich hatte keine Lust mehr, mir das Hirn zu zermartern, welcher Kanzlerkandidat hier das kleinere Übel ist, wer sein Fähnchen am wenigsten in den Wind hängt und wer nicht nur ein fauler Kompromiss ist.
Und für einen kurzen Moment habe ich die Nichtwähler verstanden und sie auch etwas beneidet.

Natürlich war ich am Wahltag dann, trotz hochgradiger Unlust, doch an der Wahlurne.
Der Ausspruch: „Wer die Wahl hat, hat die Qual“ wurde erweitert von meinem Gewissen mit „… und wer nicht wählt, der wird gequält.“

Zum Glück ist die Bundestagswahl überstanden. Zum Glück für mich, denn ich muss zugeben – noch nie ist mir eine Wahlentscheidung so schwer gefallen.
Die derzeitige Regierungsbildung ist jetzt in vollem Gange.
Einstige Kontrahenten sind zusammengerückt. Die ersten Freundschaftsanfragen wurden schon verschickt und Schmuseselfies gepostet.
Es wird diskutiert, ausprobiert, philosophiert, sich gegenseitig angeschmiert und irgendwann dann koaliert. (Hinweis in eigener Sache: Das war ein Reim!)

PS.: Ich hoffe inständig, dass mein kurzes Innehalten am 26.09.2021 in der Wahlkabine und meine Gedanken zur Assoziation der Worte „Wahl“ und „Urne“ kein böses Omen waren!