„In den Herzen wird‘s warm“

Von Michael Hauke

„In den Herzen wird‘s warm – still schweigt Kummer und Harm.“ Diese Zeilen aus dem deutschen Volkslied „Leise rieselt der Schnee“ werden im Advent immer wieder gesungen und immer wieder gehört. Aber wir laufen Gefahr, dass diese Zeilen zunehmend weniger zur Wirklichkeit und zur Mitmenschlichkeit gehören; und das leider nicht nur zur Weihnachtszeit.
Seit Jahren hören wir von den Medien, der Politik und tragischerweise auch von den instrumentalisierten Kirchen moralisierende Aufrufe, andere Menschen auszugrenzen. Dabei handelt es sich um Millionen Mitbürger, ohne die eine wirkliche Gemeinschaft nicht funktionieren kann. Ausgerechnet unter dem Deckmantel des Zusammenhalts, der Solidarität oder der Vielfalt soll die Vielfalt erstickt werden, sollen wir ächten oder geächtet werden – je nach gesellschaftlicher Stellung. Auf diesem System der Spaltung baut eine selbsternannte Elite inzwischen ihr Herrschaftsmodell auf. Vorfeldorganisationen des Staates, die sich mit Regierungsgeldern finanzieren und sich wie selbstverständlich „Nicht-Regierungsorganisationen“ nennen, melden Mitmenschen mit abweichender Meinung, die dann früh morgens Besuch von bewaffneten Organen bekommen. Der Bundespräsident, früher eine moralische Instanz, der unterschiedliche Gesellschaftsgruppen vereinigte, heute das genaue Gegenteil, geht dabei stets voran. Ob Menschen, die auf ihren Grundrechten bestehen, oder Friedensliebende, ob Ungeimpfte oder einfach Oppositionelle; je nach geltendem Narrativ werden sie von höchster Stelle aus der Gemeinschaft verstoßen.
„In den Herzen wird‘s warm“ – so ging es mir im Advent mein Leben lang. Dann kamen die Corona-Jahre und mir wurde bitterkalt. Die Vorweihnachtszeit des Jahres 2021 wurde zum Höhepunkt der Unmenschlichkeit. Im ZDF sprach Sarah Bosetti vom „Blinddarm der Gesellschaft“, der weg müsse (03.12.2021). In der ARD schrie die Tagesthemen-Kommentatorin Sarah Frühauf (heute Sprecherin von Bundesinnenminister Dobrindt, CSU) Millionen Menschen an: „Na, herzlichen Dank an alle Ungeimpften! Dank euch droht der nächste Winter im Lockdown!“ (19.11.2021). Jan Böhmermann erklärte am selben Tag: „Gespaltene Gesellschaft ist mir scheißegal, solange alle geimpft sind.“ Wenig später nannte er im ZDF Kinder die „Ratten“ der „Pandemie“.
In der Heute-Show (ebenfalls ZDF) erklärte Oliver Welke seinem Publikum: „Wer Ungeimpfte ärgern will, verschenkt zu Weihnachten hässliche Dinge, die man nur im Geschäft umtauschen kann.“ (01.12.2021)
Friedrich Merz forderte den vollständigen Ausschluss der neuen Parias: „Kein Ungeimpfter mehr im Büro, kein ungeimpfter Fußballspieler mehr auf dem Rasen, kein ungeimpfter Abgeordneter mehr im Bundestag, kein ungeimpfter Student mehr im Hörsaal.“ (14.11.2021)
Der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz sprach in seiner ersten Regierungserklärung von „enthemmten Extremisten“. (15.12.2021)
Und die ARD assistierte wenige Tage später: „Die Mehrheit der Bevölkerung hat längst begriffen, dass es sich bei Impfgegnern um Verfassungsfeinde handelt!“ (Michael Stempfle, Tagesschau, 21.12.2021)
Die vorweihnachtliche Barmherzigkeit wich einer beispiellosen Hetze, die sich mit öffentlicher Ausgrenzung nicht länger zufriedengab, sondern immer konkreter auf die Zerstörung von Freundschaft und Familie zielte. Auf ihrer Webseite erklärte die ARD: „So könnte Weihnachten mit einem ungeimpften Familienmitglied aussehen: […] Sind alle Familienmitglieder, die älter als 13 Jahre sind, geimpft, ist das kein Problem. Ist aber nur eine Person über 13 Jahre nicht geimpft, muss die Familie sich entscheiden.“ Der Ungeimpfte dürfe nicht dabei sein, „während der Rest der Familie gemeinsam feiert.“
In Zeitungen der Funke-Mediengruppe wurde eine Karikatur abgedruckt, in der der Nikolaus in vor die Tür gestellte Stiefel pinkelt. Dazu die Sprechblase: „Natürlich komme ich auch zu Ungeimpften!“ (06.12.2021)
Die tägliche Hetze erinnerte an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte. Und trotzdem hatten die Täter auch noch die Chuzpe, ihre Opfer als „Nazis“ zu bezeichnen.
Es gab genug Geimpfte, die diesen Hass nicht mitmachten, sich nicht aufhetzen ließen und für die gesamte Gesellschaft zu einem Licht in dunkler Nacht wurden. An die wendete sich die Stadt Hannover mit einem unmissverständlichen Hinweisschild am Eingang des Weihnachtsmarktes: „Wer auf dem Weihnachtsmarkt Speisen und Getränke zu sich nehmen möchte, muss zuvor die vollständige Impfung […] nachweisen. Die Weitergabe an Personen, die weder geimpft noch genesen sind, ist nicht erlaubt!“ Draußen einen Glühwein mit seinen ausgesperrten Freunden oder Familienangehörigen zu trinken, war streng verboten. „In den Herzen wird‘s warm.“
In Woltersdorf habe ich persönlich erlebt, wie der örtliche CDU-Vorsitzende den Weihnachtsbaum auf dem Marktplatz eigenhändig vor den Ungeimpften absperrte. Er rollte rot-weißes Flatterband aus und baute einen engen Durchgang, an dem jeder seinen Impfstatus nachweisen musste. So wurde der Zutritt reglementiert. Die Mehrzahl blieb hinter der Absperrung, darunter auch Geimpfte. „In den Herzen wird‘s warm.“ Dass die Ausgesperrten später anfingen, Weihnachtslieder zu singen, empfand der christliche und demokratische Kommunalpolitiker als „Provokation“.
Was haben wir aus alledem gelernt? Viele vieles. Aber viele leider gar nichts.
Während die BILD im Dezember 2021 titelte: „Ungeimpfte Feuerwehrleute dürfen nicht mehr löschen!“, heißt es im Dezember 2025: „AfD-Mitglieder dürfen keine Ertrinkenden mehr retten. DLRG-Landesverband schließt ,Rechte‘ aus!“
Die Corona-Zeit und was danach folgte, hat viele Menschen nachhaltig verletzt. Auch wenn diese Wunden im Alltag überdeckt sein mögen, sind sie nicht verheilt. Was Millionen Menschen angetan wurde, kann zwar im Bewusstsein nach hinten rutschen, aber es wird nicht einfach so vergessen. Wie kommen wir da wieder raus? Wie kann eine Überwindung der Spaltung gelingen?
Am Anfang kann aufrichtiger Respekt für den jeweils anderen stehen. Wenn wir wieder lernen, uns zuzuhören, auf Argumente einzugehen und zu verstehen, dass der andere gute Gründe für seine Meinung haben wird, können wir die von oben gepredigte Spaltung überwinden. In vielen Fällen braucht es dafür aufrichtige Reue und die Bitte um Vergebung. Das gilt im Kleinen wie im Großen. Die ausgetreckte Hand auch zu ergreifen, ist dann echte Versöhnung. Das heißt gerade nicht, dass alle Unterschiede eingeebnet werden sollen, im Gegenteil: die Unterschiedlichkeit macht uns Menschen aus. Mahatma Gandhi sagte einmal: „Wo Liebe wächst, gedeiht Leben – wo Hass aufkommt, droht Untergang.“
Lassen wir die Liebe wachsen und das Leben gedeihen, dann wird‘s in den Herzen warm, und es schweigen Kummer und Harm. „Sorge des Lebens verhallt. Freue Dich, Christkind kommt bald.“

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