Eigentlich wollte ich über die leidige Affäre um den Ex-Bundespräsidenten nichts mehr schreiben. Zu viel und zu vehement wurden wir alle in letzter Zeit damit genervt.
Doch die letzten diesbezüglichen Ereignisse ließen mich hierzu noch einmal tätig werden. Bei all der öffentlichen Schelte und dem journalistischem Draufhauen wurde komplett vergessen, sich bei Christian Wulff auch einmal zu bedanken. Mit diesem „So gesehen“ möchte ich das nachholen.
Selten war ein Politiker so ehrlich, wie der zurückgetretene Bundespräsident Christian Wulff. Ja, das meine ich vollkommen ernst. Sicher kann man seine publik gewordenen Handlungsweisen als unkorrekt bezeichnen und seine Wahrheitsliebe als etwas verschlüsselt empfinden, trotzdem bleibe ich dabei – der gestürzte Christian ist absolut ehrlich. Unbeabsichtigt ehrlich! Er schafft es nicht, sich hinter einer Maske aus Einsicht, Reue und Scham zu verstecken. Er kann seine Machtbesessenheit, seine Selbstherrlichkeit und sein Selbstverständnis, dass normale Normen für ihn nicht gelten, nicht verbergen. Er zeigt unbeabsichtigt ehrlich, welches Recht sich Politik auch in Deutschland herausnimmt.
Er steht offen und arrogant über den Dingen und hat das deutlich präsentiert. Er versuchte, seine Amtszeit trotz aller Vorwürfe aus- bzw. abzusitzen. Er erklärte mit nicht vorhandenem Unrechtsbewußtsein seine Machenschaften und sein Verhalten für legitim. Frech, aber ehrlich machte er bei der Debatte um den Verzicht des Ehrensold von knapp 200.000 Euro pro Jahr allen klar, dass Verzichten für ihn nicht in Frage kommt. Dass er auf das Empfangen solch einer Ehrung moralisch kein Anrecht hat, ist ihm dabei vollkommen egal. Vielmehr verlangt er noch die Anerkennung auf zusätzliche Privilegien, wie z.B. einen Fahrer, Mitarbeiter, Büro, etc., die den Steuerzahler ca. weitere 280.000 Euro pro Jahr kosten würden.
Meine Hochachtung – endlich mal ein Politiker der öffentlich zeigt, wie realitätsfremd und bürgerverarschend auch in Deutschland die Uhren der politischen Größen ticken können. Die Regierung ignoriert, billigt und fördert diese Dreistigkeiten in den eigenen Reihen.
Im Fall Wulff stand die Kanzlerin bis zum unrühmlichen Ende hinter ihrem Bundespräsidenten, bekräftigte immer wieder ihr Vertrauen.
Den gesetzlich festgelegten Ehrensold erhält Wulff, obwohl die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelt und er für das Amt des Bundespräsidenten nicht mehr tragbar war.
Zu guter Letzt wird Wulff mit der höchsten Form der militärischen Ehrerweisung, dem „Großen Zapfenstreich“, verabschiedet. Er bekommt Abschiedslorbeeren, als habe er Großes geleistet.
Wenn es nicht so traurig wäre, so könnte man darüber lachen. Da wird öffentlich, dass der höchste Amtsinhaber seines Amtes nicht würdig ist, dass er dem Ansehen des Amtes im In- und Ausland erheblichen Schaden zugefügt hat – und er wird geehrt. Das ist doch paradox!
Hier wird der Otto-Normal-Bürger verhöhnt und ausgelacht. Der Ehrensold und der Zapfenstreich sind ein Schlag ins Gesicht derer, die hier auf ein klares Statement gegen unsinnige und ungerechtfertigte Privilegien gehofft hatten. Die Berufung auf Einhaltung einer rechtlich korrekten und bewährten Staatspraxis machen das erneute Wulff-Sponsoring auch nicht akzeptabel. Hat er früher kostenlose Urlaube abgestaubt, so hält ihm jetzt die Regierung der Bundesrepublik bis zu seinem Ableben finanziell den Rücken frei. Hier macht sich ein Staat vor seinen Bürgern lächerlich und unglaubwürdig.
Der Politik und dem Ansehen der politischen Klasse in Deutschland hat diese Affäre schwer geschadet. Hier wird Politikverdrossenheit im großen Stil gefördert. Den letzten paar Menschen, die immer noch an die Gleichheit und Gerechtigkeit in diesen Land geglaubt haben, hat diese Affäre die Augen geöffnet.
Danke, Christian!
Ach so, eine Frage hätte ich noch zu diesem Thema. Kann mir eigentlich jemand erklären, warum allen ausgeschiedenen Bundespräsidenten weiterhin ein Büro mit Mitarbeitern, ein Fahrer, etc., zusteht? Was machen die denn den ganzen Tag da auf unsere Kosten? Dem Wulff sollte man hier vielleicht ein bisschen intensiver auf die Finger schauen. Nachher bildet der dort noch politischen Nachwuchs in persönlicher Vorteilsnahme aus? Man kann ja nie wissen!
PS.: Wenn Sie dieses „So gesehen“ lesen, ist die Ära Wulff wohl abgeschlossen. Während ich aber diese Kolumne schreibe, bleibt mir noch die Vorfreude auf die Unterhaltungssendung „Der Große Zapfenstreich mit Christian Wulff“, die hoffentlich live übertragen wird. Ich haue mich jetzt schon in den Dreck vor Freude, wenn ich an die Gesichter der Gäste denke. Soll man zu diesem Anlaß nun traurig, fröhlich, erhaben oder einfach nur blöd aus der Wäsche gucken? Ich bin gespannt und schadenfroh.