Freisprechanlagen im Auto – ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt. Obwohl diese schon seit Jahren Pflicht sind, erwische ich mich immer wieder …
Ich kann mich eben mit manchen Neuerungen schwer anfreunden.
Ähnlich ging es mir Mitte der 80ziger Jahre, als die Helmpflicht für Mopedfahrer eingeführt wurde. Vorher sah man mit wehendem Haupthaar auf der Simson aus, wie der personifizierte Ostblockrebell – mit der Helmpflicht dann eher wie Calimero mit der Eierschale auf dem Kopf. Cool war das nicht mehr. Aber eben sicherer.
Ähnlich ist das auch mit dieser Freisprechanlage. Nicht nur, dass die lockeren Posen mit dem Handy am Ohr entfallen, man sieht beim freisprechenden Telefonieren auch meist leicht blöde aus. Während der Fahrt oder stehend an einer Kreuzung klingelt das Smartphone – schon quatscht man munter drauf los. Die Tücke dabei ist, nur man selbst und der Telefonpartner wissen, dass sie gerade miteinander telefonieren. Für jeden anderen, der irgendwie einen Blick in das Auto werfen kann, sitzt da ein grenzdebiles Individuum, welches mit sich selbst spricht und dabei mimisch und gestisch voll entgleist. Bekloppt, aber sicherer.
Apropos Freisprechanlage – hier könnte man so einiges hineinspinnen. Toll wäre eine Freisprechanlage mit Wahrheitsadapter für Bundestagsdebatten, Politdiskussionen und jede Art von Wahlveranstaltungen. Alles Gesagte, sogar die größte Lüge, würde sofort in die Wahrheit umgewandelt. Endlich würden einige Politprominente das sagen, was man schon lange vermutet. „Wir handeln erst und denken dann“, „Egal wie hirnverbrannt die Idee – auch idiotische Pläne werden durchgesetzt“, „Die Meinungsfreiheit der Andersdenkenden gehört abgeschafft“ – das wären dann die Diskussionsbeiträge. Manch ein politikbekanntes Gesicht würde sich mitten in einer Debatte zu Wort melden und munter über schwarze Konten und horrende Nebeneinkünfte plaudern. Manch einer würde frei bekennen: „Ich bin scharf auf dieses Amt, weil ich auf diesem Ego-Trip am besten für mich selbst sorgen kann“, „Ich wurde als Kind gehänselt, mit dem Parteivorsitz kann ich nun endlich Rache nehmen“, „Diesel- und Motorradfahrer, Vielflieger, Fleischfresser, Rasenlatscher und Mückenmörder gehören weggesperrt“.
Natürlich würde man dann aber auch endlich viel leichter die ehrlichen, die bodenständigen, die beflissenen und vertrauenswürdigen Politiker erkennen. Das könnte den Gang zu den Wahlurnen erheblich entspannen.
Immer die Wahrheit – das wäre nicht schlecht. Die Lehrer in den Schulen würden endlich zugeben, dass so einiges vom Lehrstoff im späteren Leben keine Rolle mehr spielt. In den Ämtern würden sich die Beamten Luft machen und über die Bürokratie schimpfen. Auch bei der Fernsehwerbung wüsste man immer, woran man ist – oder was man isst. „Die Inhaltsstoffe in diesem Lebensmittel können krank machen“ oder „Ihr Vertrauen in unsere Bank ist nicht gerechtfertigt …“, „Mit uns sind Sie im Schadensfall schlecht versichert“ – solche Slogans wären dann normal.
Immer die Wahrheit – das gäbe aber auch Probleme. Manch braver Familienvater müsste wahrscheinlich nach einer simplen Verkehrskontrolle wegen Beamtenbeleidigung in Staatsgewahrsam. Ein jahrzehntegeprüfter ehelicher Haussegen würde plötzlich mehr als schiefhängen, Kellnerinnen würden eventuell nach der Antwort auf die Frage: „Hat es Ihnen geschmeckt?“ in Tränen ausbrechen. Auch die Begrüßung für unangemeldet hereinplatzende Verwandte würde für innerfamiliäre Querelen sorgen.
Immer die Wahrheit – wäre schön, aber Notlügen sollten erlaubt bleiben. Denn wenn ich ehrlich bin, ist an manchen Tagen das fröhlich herausgeschmetterte „Guten Morgen“ schon gelogen.