Erinnern Sie sich noch an die Zeit, in der deutschsprachiger Rock und Pop als „Neue Deutsche Welle“ bezeichnet wurde? Na, die Zeit, in der heimlich die Radioshows vom SFB mit Andreas Dorfmann gehört wurden. Ich meine die achtziger Jahre.
Wie ich jetzt darauf komme? Es gab vor kurzem einen Erinnerungsanstoß, der mir deutlich machte, dass ich wohl nicht mehr ganz als taufrischer Jüngling durchgehe. Schuld war ein Brief. Ein Brief bezüglich eines Jahrgangstreffens, der mir bösartig klarmachte, dass meine damaligen Mitleidenden und ich vor mittlerweile sechsunddreißig Jahren die Schule verlassen haben. Ich weiß, das ist noch nicht allzu lange her. Das sagen aber immer nur die, deren Schulabschluss noch weiter zurückliegt. Aber für mich, als Betroffener… Na ja, Sie wissen schon.
Auf jeden Fall geben solche Klatscher irgendwie Anlass, mal zurückzuschauen.
Da gibt es diesen Karton mit den Uraltfotos auf ORWO-Papier. Wenn man dann die alten Bilder betrachtet, wird klar – jede Zeit hat seine Verfehlungen.
Da ist ein Bild, da habe ich eine Frisur, die mich wie einen depperten Prinzen aus einem alten Nachkriegs-Märchenfilm aussehen lässt. Wurden Friseure damals für Verunstaltungen nicht bestraft? Wahrscheinlich war meine nachfolgende Langhaarfrisur (siehe Foto) dann die Rache des Geschändeten.
Obwohl ich damit auch nicht wirklich sexy rüberkam. Und dann dieser dünne, fusselige, sich gerade im Wachstum befindliche Oberlippenbart. Ist man denn in der Jugend wirklich auf jeglichen Haarwuchs stolz?
An viele Klamotten, oder besser gesagt an die Konfektionsware, die man von seinen Erzeugern übergebügelt bekam, kann ich mich gar nicht mehr erinnern.
Wahrscheinlich habe ich das modische Grauen verdrängt.
Als man dann zu der pubertierenden Generation gehörte, ließ man sich, außer zur Jugendweihe, freiwillig nicht mehr in die sozialistisch standardisierte Jugendmode stecken. Man war ja urplötzlich Rebell und musste dieser einschneidenden Lebenswendung natürlich auch klamottentechnisch Rechnung tragen. Die Hosen konnten nicht eng genug sein.
Wenn ich diese Bilder so betrachte, bin ich doch überrascht, dass wir fast alle Väter geworden sind. Aber diese Hosen gehörten zu uns. An eventuelle zeugungshinderliche Spätfolgen dachte damals keiner. Außer meiner Oma Hilda. Aber sie war auch der Meinung, dass Jungen mit „langen Loden“, Ringen im Ohr und einem auffälligen Äußeren irgendwann die Quittung für solche Entgleisungen präsentiert bekommen würden. Recht hatte sie. Wir müssen heute mit diesen alten Fotos und dem Wissen um die peinlichen Oberlippenbärte leben.
Aber damals ließen uns jegliche Orakel von all den alten Menschen (die über 18 Jahre alt waren) völlig kalt. Mittlerweile trugen wir im Sommer wie im Winter schwarze Lederjacken. Auch die Haare hatten eine beachtliche Länge erreicht, so dass man sie provokant mitten im Gesicht tragen konnte. Immer zur enormen Freude der Eltern natürlich.
In der Zwischenzeit hörten wir auch längst keine „Deutsche Welle“ mehr. Wenn doch, dann heimlich. Nach außen präsentierte man eher Härte. Auch der Musikgeschmack hatte sich geändert. Hart, laut und unangepasst musste Musik nun sein. Und am besten natürlich illegal, mit einem Stern-Rekorder von nichtsozialistischen Rundfunk-Sendeanstalten mitgeschnitten.
Etwas später gab es dann auch einen hiesigen Jugendsender, der ab und an mal härtere Klänge versendete. Aber legale Mitschnitte brachten nicht den gleichen Effekt. Sie reduzierten eher den Besitzerstolz.
Ich könnte jetzt noch immer so weiter in alten Erinnerungen wühlen. Von Zeit zu Zeit ist es wohl auch mal ganz gut, fast Vergessenes wieder zu entstauben. Das Gute wie das Schlechte, das Lustige wie das Traurige. Manchmal reicht schon ein kleiner Anstoß, um kurz in das Gewesene abzutauchen oder eben alte Fotos durchzusehen. Und manchmal gelingt es sogar, sich fast vergessene alte Fragen neu zu beantworten. Obwohl, zwei Fragen hätte ich da noch. Kann man eigentlich rückwirkend Schadensersatzansprüche bei der Friseurinnung (Beweisfotos vorhanden!) geltend machen? Und wo ist eigentlich Andreas Dorfmann?

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