Ich habe vielleicht wieder etwas erlebt! Man könnte fast sagen, ich habe dem finsteren Grauen in das fiese Antlitz geschaut. Ich war beim Empfang des Bundespräsidenten Christian Wulff.
Also der Christian hatte mich eingeladen. Mich, und noch ein paar andere Prominente. Wann? Na, letzten Sonntag. Wie, Sie glauben mir nicht? Da würden nur hochrangige Persönlichkeiten eingeladen? Na, so ganz stimmt das ja nicht. Wenn man ein ordentlicher Staatsbürger ist, kommt man auch mal in den Genuß, auf solch eine Festivität geladen zu werden. Und da ich pünktlich meine Strafzettel bezahle, meinen Müll ordnungsgemäß trenne, selten bei rot über die Kreuzung rutsche und auch nie über blödsinnige Verordnungen und Gesetze meckere ;-) bin ich eben so ein ordentlicher Staatsbürger.
Jedenfalls wurde ich eingeladen. Allein diese Einladung bereitete mir schon etwas Gänsehaut. Abschlagen kann man so etwas ja schlecht. Wer weiß, ob man sich bei Absage nicht gleich strafbar macht und in Staatsgewahrsam kommt? Also schnell noch einen Kulturstrick gekauft und ab ins Schloß Bellevue. Schon am Eingang wurde mir mulmig. Mußte mir doch so ein 1,-Euro-Job-Page die Tür öffnen und mir aus dem geborgten Kaschmir-Jäckchen helfen. Na ja, wenn man zur Oberschicht gehören möchte, kann man sich aber nicht mit Einzelschicksalen beschäftigen. Also, das schlechte Gewissen abgeschüttelt und rein. Drinnen war es dann ganz feierlich. Zum Glück war ich spät dran, die Bla-Bla-Reden waren geredet, es konnte ans Feiern gehen. Was gefeiert wurde, wußte ich nicht so genau. Wahrscheinlich wurde jemand Hochdekoriertes noch höher dekoriert, vielleicht feierte man sich aber bloß mal wieder selbst. Egal.
Ich suchte jedenfalls erst einmal nach dem Tisch mit meiner Platznummer. Mein Platzkärtchen stand auf dem Tisch von Frau Merkel, Minister Junghanns und dem Ministerpräsidenten Platzeck. Na volle Punktzahl, da wollte ich ja nun nicht gerade hin. Die Drei wirkten etwas angespannt, ja fast ängstlich. Sie murmelte die ganze Zeit so etwas wie: „liebste, allerliebste Wähler…, nur ihr Bestes…, Arbeitsplätze…, ihre Stimme zählt…, liebe Brandenburger…, CO2 ist doch auch im Mineralwasser…, keine …FALLe…, keiner vertraut uns…?“. Warum nur dieser Tisch mit Werbefähnchen eines großen Energiekonzerns geschmückt war, weiß ich leider auch nicht.
Altkanzler Schröder, Schäuble und der Struck saßen am Nebentisch. Richtig begeistern konnte mich das auch nicht. Aber erst einmal hinsetzen und abwarten. Gerhard (in solchen Kreisen ist das Duzen vollkommen normal) erschien mir sehr entspannt. Ja, er erzählte mir, daß er mittlerweile froh sei, den staatsvorderen Mistposten los zu sein. Dieses ewige Verbiegen, das Geheuchel und die abzuarbeitenden Verbindlichkeiten wären für ihn als alten Rebell eh nur Last gewesen. Plötzlich stand der dicke Joschka bei uns am Tisch. Er prahlte damit, daß Machtpositionen sexy machen. Man könnte alt, speckig und abgeranzt aussehen, trotzdem könne man die jüngsten, attraktivsten Frauen mit nach Hause nehmen. Als Struck dann noch anfing, mir zu erklären, daß der militärische Kampfeinsatz unseres Heeres auf den Kriegsschauplätzen der Welt zwingend erforderlich sei, hatte ich genug von diesem Tisch. Außerdem kam es mir vor, als würde der Schäuble mich die ganze Zeit ausspionieren. Ich rutschte eine Tisch weiter.
Auch nicht viel besser. An diesem Tisch erläuterte Boris Becker der Urlaubs-Ulla gerade die Möglichkeiten der Selbstdarstellung. Es würde dem Image nicht langfristig schaden, wenn man mal bei einer kleinen Unregelmäßigkeit erwischt würde. Mit der Zeit wächst Gras drüber. Man könne selbst nach einem ungeschützten Quickie in der Besenkammer, ganz locker als Vorbildfunktion einer Anti-Aids-Kampagne durchgehen. Man müsse eben nur die richtigen Leute kennen, ab und zu mal schuldbewußt dreinschauen – und die fleckige Weste wird wieder ansehbar.
Auf das Geschwafel hatte ich nun auch keinen Bock. Ich drehte mich zu Biolek und hoffte auf ein paar versoffene Geheimrezepte. Leider ging bei Bio gar nichts mehr. Er nuschelte nach jedem Schluck: „ …oh, lecker“. Letztendlich verriet er mir dann aber doch, natürlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit, daß er die ganze Fernsehkocherei nur noch im Suff ertragen hätte – so übel wäre das Gekochte manchmal gewesen. Interessant, aber kein Gesprächsstoff für so einen festlichen Abend. Ich suchte mir also einen neuen Tisch und neue Gesprächspartner. Den nächsten freien Platz ließ ich aber aus – da saßen Verona, Franjo, Heidi, Kerner, Jauch, Pflaume, Silbernagel (heißt der so?), usw. dran. Das muß man sich ja nun nicht antun. Schließlich soll der Abend ja angenehm ausklingen.
Plötzlich tippte mir jemand auf die Schulter. Ach du Sch…., der Bohlen. Ob ich mir denn vorstellen könnte, mit Jürgen Drews im Background, in der neuen Staffel von „Deutschland sucht den Superstar“ aufzutreten. Chancen würde er uns zwar schon im Vorfeld nicht einräumen, aber er wäre sicher, daß das Niveau der Sendung durch uns keinen Schaden nehmen würde.
Im selben Moment startete das Showprogramm. Die Fischer-Chöre nahmen Aufstellung.
Das war mir nun aber wirklich zuviel. Ich stand auf und ergriff die Flucht. Mit einem Blick über die Schulter erkannte ich, daß meine vorherigen Gesprächspartner zu Zombies mutierten und die Verfolgung aufnahmen. Also quer durch den Saal, durch die Flügeltür ins Foyer. Die Verfolger kamen näher. Mir schlug das Herz bis zum Hals. Da, der Notausgang. Mist! Verschlossen. Ich konnte schon deutlich das Gemurmel hinter mir hören: „… sexy, …Superstar, … liebe Rentner, … Erhöhung, … mir is schlecht, …CO2 ist doch im Wasser, …Brandenburg, …Angst, …Wahl“. Da, endlich der Ausgang. Nur noch durch das Hauptportal. Plötzlich greift jemand nach meinem Leibchen, bekommt mich am Ärmel zu fassen und – schweißgebadet wachte ich auf.