Von Michael Hauke

Es begab sich aber zu der Zeit, als von der Regierung ein Gebot ausging, dass alle Welt geimpft würde. Und wer nicht geimpft war, fand keinen Platz in der Herberge. Und oft auch nicht draußen.
Es war Weihnachten. Und jedermann ging, ein jeglicher in seine Stadt, um das Fest der Liebe zu feiern. Da machten sich auf auch die Menschen aus Woltersdorf, um dem feierlichen Einschalten der Weihnachtsbaumbeleuchtung beizuwohnen. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie zum Baum wollten. Und sie kamen an ein Schild und eine Einhegung, die ihnen das Näherkommen verboten. So blieben sie fern – denn sie hatten sonst keinen Raum auf dem Platz – und in der Herberge sowieso nicht.
So war es im Advent 2021 in Woltersdorf. Der Vorsitzende der örtlichen Christlich-Demokratischen Union hatte den Weihnachtsbaum großräumig mit einem rot-weißen Flatterband abgesperrt und einen kleinen Durchgang mit zwei Schildern gelassen. Hinein durfte nur, wer seinen Impfnachweis zeigte.
Es war eine bizarre und beschämende Situation. Diejenigen, die ihr Zertifikat präsentierten, durften zum Baum, der Rest stand draußen. So wird das Fest der Liebe gefeiert, wenn der Chef der Christen-Union für „Recht und Ordnung sorgt.“ Genauso begründete er seine Ausgrenzung, als er nach Ende der Veranstaltung sein Flatterband wieder einrollte und die 2G-Schilder wieder abbaute. Das sei das Gesetz, und das müsse durchgesetzt werden. Beim Einrollen kam er zwangsläufig ganz nah an die Ausgesperrten heran, hatte mit dieser Nähe auf einmal kein Problem mehr. Er erklärte ihnen, dass ja einer hier für Recht und Ordnung sorgen müsste.
All die Gedanken zur Nächstenliebe und wie ein christlicher Kommunalpolitiker – ausgerechnet zu Weihnachten – damit umgegangen ist, kamen mir dieses Jahr wieder in den Kopf. Es war wieder Kirchturmfest, wie der Weihnachtsmarkt in Woltersdorf heißt. Und alle taten so, als wäre nichts gewesen. Je näher ich dem Baum kam, desto stärker war der Gedanke an vergangenes Jahr, als mehr Menschen draußen standen als drinnen. Als diese auch noch gemeinsam anfingen, textsicher Weihnachtslieder zu singen, empfand das der Vorsitzende der Christen-Union als „Provokation“, wie er mir hinterher sagte.
Zu den Ausgesperrten gehörte neben vielen anderen im Übrigen auch der Pfarrer. Ein christliches Fest – und der Pfarrer bleibt draußen. Und eine „Provokation“, dass er mit den Menschen Weihnachtslieder singt!
Was ich hier aus Woltersdorf schildere, ist so ähnlich im ganzen Land unzählige Male geschehen. Wie kommen wir aus dieser Situation heraus? Einfach so tun, als wäre es nie passiert? Die großen Täter und die kleinen Vollstrecker nicht darauf ansprechen? So ist es das bequemste, aber so wird es auf ewig im Raum bleiben. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (auch CDU), einer der schlimmsten Ausgrenzer und 2G-Hetzer, sagte vor kurzem: „Es sind in der Zeit sehr, sehr viele Ungerechtigkeiten passiert. Aber man sollte es sich nicht gegenseitig so aufrechnen!“
Wenn man keine „Aufrechnung“ möchte, wie wäre es mit ehrlicher Reue und der Bitte um Verzeihung? In meinen Zeitungen bekommt jeder dafür Platz, auch der Woltersdorfer CDU-Chef.

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