Von Jan Knaupp

Jetzt wird es langsam Zeit, sich auf das Fest der Feste einzustimmen. Quatsch, eigentlich sollte man schon eingestimmt sein, in vier Tagen ist es soweit.
Doch ist man wirklich schon vorbereitet? An einigen Vorweihnachtstagen scheint es manchmal so, als wäre man im Weihnachtswunderland angekommen. Doch das liegt meist an glühweinseligen Weihnachtsmarktbesuchen. Sind die daraus resultierenden Gehirnschmerzen abgeklungen, ist auch das Weihnachtsfeeling wieder futsch. Auf das Wetter kann man sich nicht verlassen. Frau Holle hat ja die letzten Jahre schon kläglich versagt. Wie soll man sich also weihnachtlich einstimmen, wenn einem schon die weiße Grundsubstanz vorenthalten wird? Und dabei soll doch gerade beim Weihnachtsfest alles rund laufen. Alles soll stimmen, alles soll genau so ablaufen, wie man es sich immer erträumt hat – wie man es lange geplant hat!
Ich glaube, genau hier liegt der Fehler. Wir planen einfach zu viel. Und wenn dann die Sache aus dem Ruder läuft, gibt es Knatsch an der Weihnachtsfront. Vielleicht sollte man sich vorher ein weihnachtliches Horrorszenario vor das geistige Auge stellen, um im Nachhinein froh zu sein, dass nicht all die grausigen Details eingetroffen sind. Wie, das können Sie nicht? Na dann machen wir es doch einfach gemeinsam.
Wir schreiben den 24.12., es ist 11.30 Uhr. Sie befinden sich mitten in den Festvorbereitungen. Der Festtagsbraten duftet verführerisch im Ofen, der Weihnachtsbaum wird gerade aufgestellt und die eingeladene Verwandtschaft dürfte auch bald eintreffen. Aus dem Rundfunksempfangsgerät säuselt irgend so ein Glückseliger „Oh, Du fröhliche …“
Plötzlich klingelt es. Es klingelt irgendwie bedrohlich. Sie öffnen und schrecken sofort zurück. Vor der Tür stehen zwei mysteriöse in weißen Schutzanzügen verstaute Personen. Gammelfleischbehörde. Ihr Festtagsbraten wird im Rahmen einer Rückholaktion konfisziert, zur weiteren Untersuchung eingeschickt. Das Fleisch für den ersten und zweiten Feiertag geht vorsichtshalber auch gleich mit. Tut uns leid, schönes Fest noch.
Jetzt wird es eng. Der Braten ist weg. Was nun? Der Weihnachtsbaum steht, die Weihnachtsmusik aus dem Radio hört sich jetzt gequält an, und die ganze Verwandtschaft kommt sicherlich wieder zu früh. Aber noch haben die Einkaufsmärkte geöffnet. Ab ins Auto und los. Überfüllte Parkplätze. Die Gammelfleischbehörde hat im Großeinsatz den ganzen Landstrich durchkämmt. Ihren Miteinkäufern ist das Wort „Nächstenliebe“ in dieser heiklen Situation völlig egal. Was zählt, ist das Endergebnis. Und das heißt für Sie – Fischstäbchen. Etwas anderes gibt es nicht mehr. Egal. Etwas lädiert und halb taub vom Supermarktlautsprecher geht es ab nach Hause. Nein, eigentlich geht es nicht sofort nach Hause. Völlig gestresst haben Sie beim Rückwärtsausparken diese bescheuerte acht Meter hohe Holzpyramide gerammt, die jetzt in Richtung Markteingang kippt. Schnell weg hier. Aus dem Autoradio brüllt so ein Hornochse irgendwas von „Leise rieselt der Schnee…“
Klar, Wintereinbruch würde jetzt noch fehlen!
Zu Hause herrscht völliges Chaos. Die bucklige Verwandtschaft ist da. Als erstes stürzen Sie im Flur über deren Koffer und Taschen. Die Fischstäbchen können sich befreien und versuchen über die Korridorfliesen zu entkommen. Aufstehen, lächeln, kurze Begrüßung, Stäbchen aufsammeln, ab in die Küche. Die Klöße waren ja schon fast fertig, der Apfelrotkohl ist heiß und das gepresste Fischfleisch braucht auch nicht lange. Ihre sechzehnjährige Tochter steht in der Tür und erzählt Ihnen irgendetwas von der unbefleckten Empfängnis und dass man ja dann auch gar nichts dafür könne. Und überhaupt, wäre es heute doch normal …
Keine Ahnung, warum die jetzt mit der Weihnachtsgeschichte daher kommt? Hier sind die Teller, ab, Tisch decken. Aus dem Radio jammert so ein Bekloppter „Ihr Kinderlein kommet…“ Apropos Kinder. Wo ist eigentlich der zwölfjährige Sohn? Ist der etwa immer noch im Keller? Dabei sollte er sich doch nur um den Festtagswein kümmern.
Doch es bleibt keine Zeit nachzuschauen. Ihre bessere Hälfte ist gerade auf einem Rest Fischstäbchenpanade ausgerutscht und segelt mit der Emailleschüssel voll Mohnstrietzel durch den Flur, geradewegs ins Wohnzimmer.
Die gehässige Verwandtschaft jodelt, schon leicht angetrunken die weihnachtstriefende Radiomusik mit. Mittlerweile haben sich die Klöße im Kochwasser aufgelöst, die Fischstäbchen sind verbrannt und der angeblich frisch geschlagene Weihnachtsbaum verliert die ersten Nadeln. Der übergewichtige Spitz von Oma reagiert auf die Verwandtschaftsgesänge mit anhaltendem
Gekläffe und steht kurz vor einem Herzinfarkt. Genauso wie die Oma, die mittlerweile auch bemerkt hat, dass sie ihre Zähne zu Hause vergessen hat. Genauso wie den Opa.
Die Schwiegereltern eröffnen Ihnen, dass sie eigentlich geplant haben, in Ihrem Haus mal so richtig auszuspannen und gedenken, hier ein bis zwei Monate Urlaub zu machen. Mittlerweile ist auch der Sohnemann wieder aufgetaucht und präsentiert den Anwesenden seine, in einem Selbstversuch erarbeitete These zur Unverträglichkeit verschiedener Weinsorten in ein und demselben Magen. Mit glasigen Augen und würgenden Geräuschen befreit er sich von seinem Übelkeitsgefühl. In hohem Bogen verziert er den Wohnzimmerteppich und die vordere Hälfte des Weihnachtsbaumes. Und aus dem Radio „Oh Tannenbaum…“
So, ich glaube jetzt reicht es. Bevor es noch unappetitlicher wird, höre ich lieber auf. Versuchen Sie in den nächsten Tagen nicht zum Stressopfer zu werden. Frohes Fest!

Weitere „So gesehen“ finden Sie in dem gleichnamigen Buch, welches im Softcover mit 224 Seiten für 7,95 € erhältlich ist:
• Hauke-Verlag, Alte Langewahler Chaussee 44, 15517 Fürstenwalde
• Buchhandlung Zweigart, Berliner Straße 21, 15848 Beeskow

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