Jetzt ist es fast soweit. Nur noch ein paar Tage, dann geht es wieder los. Eigentlich ist es ja schon losgegangen. Das Drumherum jedenfalls. Und das Drumherum nervt mich. Was ich meine? Also, um es ganz klar zu definieren: die Fußball-EM geht mir jetzt schon auf die Nerven. Schockiert?! Wie kann man denn die EM als nervend empfinden? Tja, einige Qualifikationen und die gewisse Wehrhaftigkeit, um zum illustren Kreis der Nicht-Infizierten zu gehören, sind von Nöten. So sollte man sich schon während des eigenen Zeugungsaktes, intensiv gegen das Fußball-Gen zu Wehr gesetzt haben. Sollte es trotzdem zu einer Fußball-Infektion gekommen sein, verbleiben höchstens noch vier Jahre, um dagegen anzukämpfen.
Doch ich habe diesen Kampf fast gewonnen, ich bin nur lokal infiziert. Gegen den großen Rummel bin ich immun. Aber das liegt nicht nur am Fußball. Es gibt keine Sportart, die es schafft, mich an einen Fernsehsessel, geschweige denn an einen harten Stadionsitz zu fesseln. Mir fehlt eben dieses Gen. Und auch wenn es kaum zu glauben ist, es macht mir überhaupt nichts aus. Obwohl, gäbe es Turmspringen der Damen im Bikini – eventuell würde ich mich dann dazu hinreißen lassen, mir mal eine solche Sportveranstaltung anzuschauen. Aber selbst das ist nicht sicher.
Um jetzt aber zum Ausgangspunkt zurückzukommen: Ich bin genervt. Nein, nicht von den Mannschaften und der heiß erwarteten EM. Auch wenn mir überregionaler Fußball relatv egal ist, die Sportart ist schon packend. Mich nerven aber all die Dinge, denen man kaum entziehen kann. Die allgegenwärtigen Themendiskussionen, die reißerischen Schlagzeilen und besonders die vehementen Vermarktungsstrategien gehen mir auf den Senkel.
Es gibt ja Dinge, die käuflich erworben werden können, die man auch irgendwie mit der Fußball-EM in Verbindung bringen kann. T-Shirts, Hosen, Jacken, Socken, Schuhe, Mützen, Bälle und sonstige sogenannte Fanartikel haben ihre Berechtigung und sind, mit irgendwelchen Logos versehen, vollkommen akzeptabel.
Dann gibt es aber Produkte, die mit eben diesem Event werben, bei denen ich selbst eine weitläufige Zugehörigkeit zum runden Leder nicht nachvollziehen kann. Aber vielleicht zählt ja auch hier der olympische Gedanke, jeder will irgendwie dabeisein. So habe ich jetzt gerade eine Produktinformation von einem großen Einkaufsmarkt vor mir zu liegen, wie sie uns wöchentlich ins Haus flattert. Da auch ich mich informiere und natürlich auch konsumiere, schaue ich mir dieses mehrseitigen Heftchen an. Und ich bin erstaunt. Überall Fußball.
Da gibt es Riesling und Dornfelder, der jetzt aber laut Etikett als Fußballwein angepriesen wird. Da ist die Grillsoße, die jetzt aber in der Limited Edition „Meister- oder Oranje Sauce“ heißt. Da gibt es die Knoppers-Halbzeitbox, den Milka-Fußball-Mix, das Mini-Fußballwürstchen, die Prinzenrolle „Pocket Fußball“, die lustig knusprigen Kartoffelrösti „Kickstars“, die 11 kleinen Fußball-Spirituosen, das Zewa-Küchentuch im Kombi-Fußball-Pack und die Softies-Taschentücher mit Fußballbildern. Und das ist bei weitem nicht alles. Auf der Soße für Kartoffelsalat steht „1:0 für unseren Geschmack“. Sogar Butter-, Waschmittel- oder Bohnensalatverpackungen haben ein EM-Outfit erhalten.
Geht es also nach den Vermarktungsstrategen, werden jetzt auch die belanglosesten Erzeugnisse auf die Fußballfans ausgerichtet. Ich dachte eigentlich immer, daß zu so einer Fußballübertragung nur eine gute Flasche Bier gehört. Aber die moderne Zeit ist anders. Schaut man heute in die Regale der Supermärkte, könnte man meinen, Fußballenthusiasmus beginnt im Kühlschrank.
Da ich gern mal gedanklich überspitze, habe ich mir vorgestellt, ich wäre ein absoluter Fußballfan, der glaubt, mit dem Kauf besagter Produkte seine Mannschaft irgendwie zu unterstützen. Folgender Lagebericht aus einem deutschen Fan-Wohnzimmer ist nicht allzu ernst zu nehmen, zielt aber auf diesen Vermarktungsunsinn hin.
„Ich bin also Fußballfan. Ich sitze in meiner mit Fußballwaschmittel gereinigten Fankluft vor dem Fernseher. Die ganzen Klamotten, der Schal, die Mütze – Mann ist mir warm. Der Anpfiff. Ich greife flugs zu meiner Flasche Riesling-Fußballwein. Ich muß mich mit dem Trinken beeilen, schließlich warten da noch 11 kleine Fußball-Spirituosen und der Dornfelder auf mich. 282 g Prinzenrolle sind zwar lecker, aber erzeugen ein wenig Völlegefühl. Bis zur Halbzeit habe ich mir auch die in Fußballbutter geschwenkten Kartoffelröstis inclusive Meister-Sauce einverleibt. Irgendwie ist mir flau im Magen. Halbzeit. Ich müßte ja mal dringend zur Toilette, aber vorher muß ich mich noch um die Knoppers-Halbzeitbox kümmern. Oh, die zweite Spielhälfte beginnt. Auf der Sanitärkeramik war ich aus Zeitgründen nun doch nicht. Ich möchte nichts verpassen. Schnell den Dornfelder-Fußballwein aufgekorkt. Die Getränke zeigen Wirkung. Mein Fernsehbild ist verzerrt. Auch der Berichterstattung kann ich nicht mehr folgen. Ich esse erst einmal den Bohnensalat. Jetzt rumort es auch noch in meinem Magen. Verdammt, nur noch 16 Spielminuten. Dabei habe ich den Milka-Fußball-Mix und die Mini-Fußballwürstchen noch gar nicht angerührt. Hoffentlich geht das Spiel in die Verlängerung. Geschafft, alles aufgegessen und ausgetrunken. Noch zwei Minuten. Mir wird übel. Wo sind die Zewa-Küchentücher im Kombi-Fußball-Pack? Bbbbbbbbrrrrrrrrgggggggg.
Das hat geholfen. Mir geht es schon etwas besser. Doch was ist mit dem Spiel? Es ist aus? Was, wir haben verloren? Und dabei habe ich meine Mannschaft so tatkräftig unterstützt. Ich bin schockiert und frustriert. Ich muß weinen. Zum Glück habe ich ja noch die Softies-Taschentücher mit den Fußballbildchen. Aber die retten die Situation auch nicht mehr. Ich bin jetzt fußballgeschädigt“.