von Jan Knaupp

Die Tage sind stürmisch geworden, die kalte Jahreszeit greift mit feuchtmatschigen Fingern nach uns, die Blätter an den Bäumen haben sich verfärbt und ziehen einen Schlussstrich unter ihr kurzes Dasein. Sie verlassen das Geäst und sinken, einem traurigen Abschiedsgruß gleich, zu Boden. Da liegen sie dann noch eine Weile herum und gammeln so vor sich hin. Der Herbst ist da!
Scharen wilder Zugvögel kämpfen sich mit lautem Gezeter und in gut formierten Flugverbänden durch den kalten Herbsthimmel. Das artverwandte flügelgestutzte Mastvieh hingegen ist zur Bodenhaltung gezwungen und ahnt noch nichts vom bevorstehenden Desaster. Dabei rückt die alljährliche vorweihnachtliche Ausblutungszeremonie immer näher. Vielleicht ist dieses intensivere Schlachtverhalten auch der Grund dafür, dass all das Fluggetier, welches des Langstreckenfluges mächtig ist, sich hier jetzt schleunigst aus dem Staub macht?! Die können ja nicht wissen, dass wir im Moment fast nur vogelartiges Getier aus Massen-, Käfig- oder bestenfalls aus Freilandhaltung als Fleischlieferant bevorzugen.
In der Herbstzeit befällt mich immer eine gewisse Melancholie. Das Wetter, die kurzen Tage und die zeitige Dunkelheit geben Raum für trübsinnige Gedanken.
Und wenn man dazu noch das aktuelle Weltgeschehen betrachtet, dann wird es so richtig trostlos. Die sogenannte Krone der Schöpfung zerstört und mordet rund um den Globus. Ob im Namen von Religionen, für den jeweilig einzig wahren Gott, für Gebietsansprüche, im Kampf um Ressourcen oder um Vormachtstellungen in der Welt werden Kriege geführt, wird unterdrückt, wird getötet, werden Mensch und Natur zerstört. Der Mensch ist des Menschen größter Feind – und das seit Menschengedenken.
Und jetzt auch noch der nasse Herbst – da kann man doch nur schwermütig werden!
Apropos Herbst. Die Vermarktungsstrategen der Genusswarenindustrie haben diese Jahreszeit ja gänzlich abgeschafft. Gegen Sommerende werden die Supermarktregale mit Weihnachtsgebäck und bärtigen Hohlkörpern befüllt, diese werden dann im Januar gegen die osterspezifischen Gegenstücke ausgetauscht. Nach Ostern beginnt sofort die Grillzeit, welche dann wiederum von der weihnachtlichen Konsumfülle abgelöst wird. Herbstzeit fällt aus.
Aber der Herbst hat ja auch schöne Seiten, die es zu genießen wert sind. Ergötzen Sie sich am güldenen Licht und dem besonderen Farbenspiel der wenigen sonnigen Herbsttage. Genießen Sie das zarte Rascheln der herabgefallenen Blätter auf glitschigem Untergrund. Freuen Sie sich auf die herabregnenden Exkremente der Zugvögel, die auf PKW-Dächern wie moderne Kunst anmuten. Verklagen Sie ihren Regenschirmhersteller auf Sturmschadenersatz und genießen Sie das erste Kratzen im Hals als Vorbote der Herbsterkältung. Tauchen Sie ein, in die morgendliche Kälte, die diesige Nässe, die frühe Dunkelheit und die langen Nächte. Hurra, hurra, der Herbst ist da!

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